Rezension Welt – Buch zum Sozialstaat

Autor: Michael Holmes | 23.05.2011

Ver­öf­fent­lich­ter Arti­kel in der Welt hier im Ori­gi­nal zu lesen

Wie Deutschland politisch korrekt gegen die Wand rast

Deutschland ist mit einer Schuldenlast von 5 Billionen Euro auf Talfahrt. Doch kaum jemand will davon hören, kritisiert Günter Ederer in seinem Buch „Träum weiter, Deutschland!“

Deutschlands Schulden explodieren. Über 1,9 Billionen Euro zeigt die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler in der Französischen Straße in Berlin schon an – mindestens 23.000 Euro pro Kopf und 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ginge es nach Günter Ederer, würde die Uhr „riesengroß und unübersehbar“ vor dem Brandenburger Tor stehen.

„Vielleicht gelänge es dann, die brutale Wirklichkeit der Staatsschulden aus der Metaphysik und den elitären Diskussionsrunden herauszuholen“, schreibt der Wirtschaftsjournalist in seinem Buch „Träum weiter, Deutschland!“. Der Traum, aus dem er den Leser reißen will, ist der vom Staat als Allversorger – und die Wand, auf die er Deutschland zusteuern sieht, ist der Staatsbankrott. Er betont, dass die offen ausgewiesene Staatsschuld nur die Spitze des Eisberges darstellt.

Experten schätzen die Schuldenlast aus den Zahlungsverpflichtungen der umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme und den zukünftigen Beamtenpensionen auf etwa fünf Billionen Euro. „Obwohl die Zahlen bekannt sind, will kaum jemand wissen, welche Konsequenzen sie bedeuten“, fürchtet Ederer. Er stellt eine düstere Diagnose: Deutschland ist schwer krank.

Es leidet an einem übermächtigen Staat, der die Gesellschaft lähmt und aus freien Bürgern staatsgläubige Untertanen macht. Die Staatsabhängigkeit führt zu rapide wachsenden Ausgaben, ausufernden Bürokratien und einer Kultur der Verantwortungslosigkeit. Doch der Patient verharmlost die Symptome und verweigert die Behandlung.

 

Variante der Sonderwegsthese

Ederer erklärt Deutschlands Misere mit Hilfe einer eigenartigen Variante der Sonderwegsthese: „Die Berliner Republik vereint die Überheblichkeit der herrschenden Klassen im Kaiserreich, die vom Staat organisierte Verteilung sozialer Wohltaten während der NS-Zeit, sowie die sozialistische Gleichmacherei einer utopischen Staatsidee wie in der DDR“. Wieso aber haben dann die meisten entwickelten Demokratien mit nicht minder dramatischen Haushaltsschieflagen zu kämpfen?

Dennoch kommt es auf die feinen Unterschiede an, und Ederer, der aus 62 Staaten berichtet hat, kennt sie genau. Anhand vieler Beispiele zeigt er, dass Deutschland seine drängendsten Probleme in den Griff bekommen kann, wenn es aus den Erfahrungen anderer Länder lernt. Wir sollten uns von den niederländischen und finnischen Bildungssystemen, dem estnischen Steuermodell und der australischen Alterspolitik inspirieren lassen. Neuseeland, Schweden und Dänemark haben in den Neunzigern vorgemacht, wie man der Schuldenfalle entkommt.

 

„Soziale Tyrannei der öffentlichen Herrschaftsmeinung“

Allerdings ist Ederer die wichtigste Lektion aus den Budgetkonsolidierungen der Skandinavier entgangen. Die schwedischen und dänischen Sozialdemokraten überzeugten die Bevölkerung, dass die Einschnitte notwendig seien, um den Sozialstaat zukunftsfähig zu machen. Sie versprachen das nordische Modell zu erneuern – und hielten Wort. Ederer aber behauptet, sie hätten sich von diesem verabschiedet. Er glaubt, dass „sich durch staatliche Umverteilung noch nie irgendwo auf der Welt ein Problem hat lösen lassen“ und Staatspleiten nur durch „radikal freiheitliche Reformen“ zu verhindern seien.

Ederer klagt zudem über die „soziale Tyrannei der öffentlichen Herrschaftsmeinung“ in Deutschland. Es sei nahezu unmöglich, die Deutschen von Reformen zu überzeugen, die sich in anderen Ländern bewährt haben. Ist dem so? Es wäre jedenfalls schade, wenn über Ederers Streitschrift nur Liberale diskutieren würden, die ohnehin von einem freieren Deutschland träumen.

Günter Ederer: Träum’ weiter, Deutschland! Politisch korrekt gegen die Wand. (Eichborn, Frankfurt/M. 365 S., 21,95 €)

Buch online bestellen

Merken, weitersagen & drucken
  • PDF
  • Facebook
  • Twitter
  • Digg
  • Google Bookmarks
  • MisterWong.DE
  • del.icio.us
  • RSS
  • email
  • Print

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Copy This Password *

* Type Or Paste Password Here *